Traditionell eröffnete Prof. Ulrich Sieberath die Rosenheimer Fenstertage. (Foto: © ift Rosenheim)

Traditionell eröffnete Prof. Ulrich Sieberath die Rosenheimer Fenstertage. (Foto: © ift Rosenheim)

Weichenstellungen in Rosenheim

Unter dem Leitmotiv "Grenzenlose Chancen – Konstruktionen, Märkte, Technik" fanden die 46. Rosenheimer Fenstertage statt.

Neben aktuellen Fachinformationen gab es für die mehr als 700 Teilnehmer diesmal wichtige Neuigkeiten aus dem Institut für Fenstertechnik. Der langjährige Leiter Prof. Ulrich Sieberath wird sich in 2020 in den Ruhestand verabschieden. Sein Nachfolger wird Prof. Jörn Peter Lass – derzeit noch Leiter des Studiengangs "Technik der Gebäudehülle" an der Hochschule Rosenheim.

Wie gewohnt gab Prof. Ulrich Sieberath einen Überblick zu den brennenden Branchenthemen. Unter dem Gesichtspunkt "grenzenlos" wies er zunächst auf die Brexit-Problematik sowie den globalen Aufbau von Handelsschranken durch die USA sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Warenverkehr und den Handel hin.

Positives Schlusswort

Auch die Problematik der weltweiten Ressourcenknappheit und des Fachkräftemangels zeige Grenzen auf, ebenso wie das Verfehlen selbst gesetzter Grenzen – zum Beispiel beim Klimaschutz. In puncto Normen sprach Prof. Ulrich Sieberath vor allem die Schwierigkeiten national unterschiedlicher Interessen und Ansätze an.

Sein Schlusswort fiel trotz aller Herausforderungen positiv aus: "Ich glaube an die Kraft harmonisierter Regeln und das stete Austesten von Grenzen, um das Unmögliche möglich zu machen. Lassen Sie uns daran arbeiten, die Grenzen zu verstehen und auszuweiten."

Natürliches Tageslicht erstes Gestaltungsgebot

Der Plenumsvortrag "Planen mit Licht" von Prof. Peter Andres (Hochschule Düsseldorf) zeigte schonungslos, dass Deutschland in Europa Schlusslicht bei den Mindestanforderungen für die Tageslichtversorgung in Gebäuden ist. Vom Tageslicht der Sonne müssen nach EN 12464-1 bei Büroarbeitsplätzen 500 Lux, in Unterrichtsräume in Schulen 300 Lux und in Pausenräumen gerade einmal 100 Lux Beleuchtungsstärke herrschen. Das ist eindeutig zu wenig für optimale Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Wohlbefinden.

Es stellt sich die Frage, warum deutsche Schüler im Pisavergleich über mittlere Plätze nicht hinauskommen. Die medizinische Forschung weiß seit Jahren, dass hierfür ein Lichtrezeptor verantwortlich ist, der die Melatoninproduktion (Schlafhormon) unterdrückt, "Gute-Laune-Hormone" wie Seratonin und Nor¬adrenalin aktiviert, der aber erst bei 1500 Lux "anspringt". Deshalb sollte die Versorgung mit natürlichem Tageslicht das erste Gestaltungsgebot bei der Planung von Fenstern und Verglasungen sein.

Feuerwerk an wissenschaftlichen Erkenntnissen

Der Plenumsvortrag "Schadstofffreie Welt – vom Umweltgift zu gesunden Baumaterialien" von Prof. Dr. Michael Braungart (Universität Lüneburg) war ein 75-minütiges Feuerwerk an wissenschaftlichen Erkenntnissen, erschreckenden Wahrheiten über Umweltgifte in unserer direkten Umgebung, Tipps für ein gesünderes und glücklicheres Leben, humorvollen Anekdoten und Appellen, wie jeder die Welt verbessern und die Politik verändern kann.

Mit Fakten und Vergleichen blieb die Botschaft mahnend und motivierend im Kopf hängen. Engagiert und leidenschaftlich "infizierte" er die Besucher mit der Botschaft, dass "Cradle to Cradle" nicht nur der Umwelt hilft, sondern auch die Grundlage erfolgreicher Geschäfte ist.

Hand in Hand

Im Themenblock "Fassade und Architektur" standen spannende Vorträge zu außergewöhnlichen Fassadenprojekten auf dem Programm. Prof. Dr. Timo Schmidt (Werner Sobeck/Hochschule Augsburg) referierte über die vorgehängte, hinterlüftete High-Tech-Textilfassade des ThyssenKrupp Testturms in Rottweil und veranschaulichte dabei die konstruktiven und architektonischen Herausforderungen.

HandwerkIm Anschluss zeigte Rolf Schnitzler in seinem Vortrag "Fassaden – bizarre Formen, modernste Technik" über die Herausforderungen und Möglichkeiten der Erstellung von Prüfnachweisen für außergewöhnliche Objektfassaden bzw. Sonderkonstruktionen.

Frank Walter (Arup) erläuterte die Schritte von der Planung bis zur Ausführung der Vorhangfassade bei dem als Niedrigst-Energiegebäude realisierten Bauprojekt "Futurium" in Berlin. Große Resonanz verzeichnete auch der Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Christian Schuler (Hochschule München), der den aktuellen Stand bei der DIN 18008 erläuterte.

Neues Kriterium

Im Themenblock "Forschung" erläuterte Norbert Sack (ift Rosenheim), dass man einbruchhemmende Bauteile auch in hochwärmedämmendem Ziegelmauerwerk sicher befestigen kann. Knut Junge (ift Rosenheim) stellte vor, wie man die Überrollbarkeit von Türschwellen als neues Kriterium für die Barrierefreiheit messen, bestimmen und klassifizieren kann. Peter Schober (Holzforschung Austria) informierte über die Möglichkeiten für "neue" Fensterkonstruktionen durch die Integration von Vakuumglas-Elementen.

Prof. Dr. Harald Krause (Technische Hochschule Rosenheim) informierte im Themenblock "Bauphysik" über die 2018 aktualisierte Norm E DIN 1946-6 "Lüftung von Wohnungen". Neu sind da die Berechnung der Infiltration und der Luftvolumenströme zur Ermittlung der Notwendigkeit einer lüftungstechnischen Maßnahme. Manuel Demel (ift Rosenheim) zeigte, wann und wie Fensterbauer den Rollladenkasten fachgerecht als "ungeregeltes Produkt" (kein CE-Zeichen) nachweisen und ausführen müssen.

Immerhin beeinflusst dieses Bauelement Luftdichtigkeit und Wärmeschutz der kompletten Gebäudehülle und werde in der Praxis oft unterschätzt und nicht nach dem Stand der Technik ausgeführt. Die Saalfrage zeigte, dass noch 50 Prozent der Zuhörer nicht genau wissen, wie dieses Bauteil zu kennzeichnen ist. Im Vortrag gab es viele praktische Tipps zum wärmetechnischen Nachweis und zur Ausführung von Aufsatz-, Einbau-, Vorbau- und Sanierungskästen.

Smarte Lösungen

Günther Ohland (Smart Home Initiative Deutschland) gab im Themenblock "Smarte Fenster" einen Überblick über den Smart Home-Markt. Er prognostiziert, dass der Durchbruch zum Smart Home-Massenmarkt kurz bevorsteht. Das zeige die Ausrüstung von bereits 20 Prozent der Fertighäuser mit smarter Technik.

Seine wichtigste Botschaft lautete, dass sich Hersteller, Handel und Monteure nicht mehr im Detail mit den Übertragungsprotokollen/-standards (KNX, LCN, ZigBee, EnOcean, Tahoma etc.) auseinandersetzen müssen, weil die Systeme mittels Schnittstellen (Gateways) miteinander kompatibel sind.

Hersteller müssen deshalb "nur" noch ihre Fenster und Türen mit den gewünschten Sensoren und Antrieben ausstatten. Die Steuerung und der Anschluss der Aktoren erfolgt dann durch das Elektrohandwerk, dass das Thema angenommen hat und sich nun intensiver mit Smart Home beschäftigt.

Netzwerken wesentlicher Bestandteil

Eigenständige Norm Im Themenblock "Sicherheit" stellte Christian Kehrer (ift Rosenheim) den Stand der "Einbruchnorm" EN 1627 ff. vor, die sich gerade in der Überarbeitung befindet. Interessant ist auch, dass der Spiegelausschuss Einbruchprüfungen und -klassifizierungen nach EN 1627 für Tore bestätigt hat, allerdings ohne Aussagen zu Antrieben und Funkhandsendern.

Schwierig bei Toren ist, dass es keine Prüfung zur Einbruchart "Rammen" durch Autos etc. gibt. Wohl auch deshalb wird in der Arbeitsgruppe für Tore (WG 5) momentan ein erster Entwurf für eine eigenständige Norm "Einbruchhemmung für Tore nach EN 13241" erarbeitet. Es ist wünschenswert, dass die Prüfverfahren nur geringe Abweichungen zur prEN 1627 aufzeigen und keine unterschiedlichen Klassen zur prEN 1627 "erfunden" werden, die sich seit 20 Jahren am Markt bewährt haben.

Weitere Themenblöcke behandelten den "Fenstermarkt" oder warfen einen Blick auf "Prüfung und Praxis". Im Themenblock "International" wurde der Blick auf Nordamerika und auch auf China gerichtet. Baurechtliche Zusammenhänge spielten im Themenblock "Glas" eine Rolle und der erstmals angebotene Themenblock "Fertigung 4.0" beschäftigte sich mit dem digitalen Workflow. Neben den Vorträgen war das Netzwerken der Teilnehmer untereinander wesentlicher Bestandteil der 46. Rosenheimer Fenstertage.

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